Rückblick auf die Jahresfahrt 2019 nach Spandau
Der Partnerschaftsverein Siegen-Wittgenstein-Spandau reiste unter dem Motto „Erlebnis – Bildung – Partnerschaft“ in diesen Tagen wieder in den Bezirk Spandau unserer Bundeshauptstadt Berlin. Leider konnte unser Ehrenvorsitzender Sigurd Hofacker mit seine Frau aus Krankheitsgründen nicht mitreisen. Am späten Nachmittag erreichten wir unser Hotel in Spandau in der Nähe des ICE-Bahnhofs Berlin-Spandau. Am Abend wurde die Siegerländer und Wittgensteiner Reisegruppe im Spandauer Brauhaus von Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank und dem Vorsitzenden des Spandauer Partnerschaftsvereins Christian Haß sehr herzlich begrüßt. Verbunden mit den besten Wünschen für unseren mehrtägigen Aufenthalt in Spandau und Berlin entließen sie uns in die Nacht.
Nach einem auskömmlichen Frühstück brachte uns unser umsichtiger Busfahrer Matthias, sein zweiter Vorname muss wohl „die Ruhe selbst“ sein, zum Spandauer Rathaus. Dort erwartete uns im Saal der Bezirksverordneten der Hausherr Helmut Kleebank. Auf den Abgeordnetentischen lagen für uns vorbereitet u. a. rote (sic) Stofftaschen mit der Aufschrift „Berlin bei Spandau“. Offensichtlich pflegen die Spandauer auch nach 99 Jahren immer noch ihre Neurose nach der Eingemeindung in die Großstadt Berlin im Jahre 1920. Immerhin besitzt Spandau die Stadtrechte wenig länger als Berlin und 2032 feiert Spandau - fünf Jahre früher als Berlin - das 800-jährige Stadtjubiläum.
Helmut Kleebank berichtete über die vielfältige positive Entwicklung seines Bezirks. So erwartet der Bezirk in 2030 eine Einwohnerinnen- und Einwohnerzahl von etwa 280.000 und wäre dann etwa so einwohnerreich wie der Kreis Siegen-Wittgenstein heute ist und in naher Zukunft sein wird. Mit der Entscheidung des Weltkonzerns Siemens, seine „Zukunftswerkstatt“ in Spandau, der Heimat des Konzerns, anzusiedeln, werden im Bezirk neue qualifizierte, gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen. Auch die Stadtentwicklung wird davon profitieren, denn es stehen private und öffentliche Investitionen von mehreren hundert Millionen Euro im Raum. Wer denkt da nicht auch an die zugewachsene S-Bahn-Trasse nach Berlin-Siemensstadt?
Auch der Partnerschaftsverein war nicht mit leeren Händen in das Rathaus gekommen. Seit Jahrzehn-ten besteht ein Schulsportaustausch zwischen Spandauer und Siegerländer und Wittgensteiner Schulen. Im Mai waren Siegerländer Schülerinnen und Schüler in Spandau zu Besuch. Im Oktober werden Spandauer Jugendliche für eine Woche im Wittgensteiner Abenteuerdorf Schüllar-Wemlighausen zu Gast sein. Schülerinnen und Schüler, deren Eltern den Gastaufenthalt nicht ohne besondere finanzielle Einschränkungen ermöglichen können, unterstützt der Partnerschaftsverein in diesem Jahr mit einem Scheck über 600 Euro, der im Namen des Vorstandes durch Karl-Adolf Fries an die für den Jugendaustausch verantwortlichen Lehrer übergeben wurde. Die Freude der Spandauer Freunde war entsprechend groß. Sie bedankten sich mit einem Gastgeschenk. Die Spende wurde durch die Teilnahme zahlreicher Vereinsmitglieder an der Jubiläumsaktion „Herzenswunsch“ der Sparkasse Siegen ermöglicht.
Am Nachmittag besuchte die Reisegruppe den Glockenturm am Rande des Olympiageländes in Berlin-Charlottenburg. Das frühere Reichssportfeld wurde zur Austragung der olympischen Spiele 1936 mit zahlreichen Sportstätten errichtet. Die eindrucksvollste ist das Olympiastadion. Nach der Auffahrt auf den Glockenturm lag den Besucherinnen und Besuchern die Stadt Berlin zu Füßen. Leider war das Wetter etwas trüb, sodass die Aussicht geschmälert war. In der Ferne erkannte man die „Skyline“ von Berlin-Mitte mit der Kuppel des Doms, dem Turm des Roten Rathauses , dem ParkInn-Hotel am Alexanderplatz und dem Berliner Fernsehturm am Alex. Rechts davon ragte die markante Bebauung des Potsdamer Platzes auf. Im Norden erkannten wir das Spandauer Rathaus und den Turm der Nikolaikirche. Im Westen schimmerte die Wasserfläche der zum Großen Wannsee erweiterten Havel und direkt unter uns lag auf der einen Seite das Olympiastadion und auf der anderen die Waldbühne, in der legendäre Konzerte stattgefunden haben, von den Rolling Stones in den 60-ziger Jahren bis zu den Puhdys und Roland Kaiser. Leider blies uns der Wind um die Ohren und so beschränkten wir den Ausblick auf recht kurze Zeit. Der Nachmittag und Abend standen den Reise-teilnehmern zur freien Verfügung.
Am nächsten Morgen schien die Sonne vom Spandauer Himmel und der Bus brachte uns quer durch die City West von Berlin in den Osten. Wir passierten den Ernst-Reuter-Platz, das Charlottenburger Tor, den Großen Stern mit der „Goldelse“ in der Mitte und die Straße des 17. Juni. Es ging vorbei am Brandenburger Tor und bald erreichten wir den Ostbahnhof, den früheren Hauptbahnhof der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Dort stiegen wir aus und gingen die wenigen Meter hinüber zur East Side Gallery, unserem ersten Tagesziel. Hier in Berlin-Friedrichshain steht der längste noch erhaltene Teil der Berliner Mauer, mehr als 1.300 m lang. Die Mauer trennte die Berliner Bezirke Kreuzberg und Friedrichshain. Die Zonengrenze lag am Ufer der Spree auf Kreuzberger Seite.
Noch im Winter 1989/90 reifte die Idee, diesen Mauerstreifen nationalen und internationalen Künstlern zur Gestaltung anzuvertrauen. In der Folge entstanden bemerkenswerte Gemälde in dieser längsten Open-Air-Galerie der Welt. Ende September 1990, wenig mehr als 10 Monate nach der Maueröffnung, wurde die East Side Gallery eröffnet. 1991 wurde sie unter Denkmalschutz gestellt. Dem Betrachter bieten sich eine Vielzahl von Bildern mit surrealem Inhalt, mit politischen Aussagen, naive Malerei, viele auch verknüpft mit dem Mauerfall, voller Optimismus, freudig und mit hohen Erwartungen an die neue Zeit. Die bekanntesten Gemälde sind vielleicht das mit dem Trabbi, der durch die Mauer bricht und das, das den Bruderkuss zwischen Leonid Breschnjew und Erich Honecker zeigt. Das Bild trägt übrigens den Titel „Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben“.
Die Gegend um den Ostbahnhof und den Osthafen hat eine rasante bauliche Entwicklung genommen. Neue Gebäude schießen wie Pilze aus dem Boden. Die wenigen alten Hafenspeicher werden in das Neue integriert. Die O²-Arena hat hier Platz gefunden. An zwei Stellen wurde die Denkmal geschützte East Side Gallery durchbrochen, um direkt an der Spree bauen zu können. Dieser Investorengier hat der Berliner Senat inzwischen Grenzen gesetzt.
Mit zahlreichen anderen Touristen aus aller Welt, sehr vielen jungen Menschen, bummelten wir an den Bildern vorbei, blieben stehen, ließen die Inhalte auf uns wirken, machten Fotos. Die letzten Hütchenspieler der Stadt hatten sich vor dem Breschnjew-Honecker-Bild zusammengerottet, um leichtgläubige Touristen zu betrügen. So verlor eine junge Asiatin insgesamt 100 Euro, obwohl ihre Begleiter vor den Gaunern gewarnt worden waren. Schade, dass die Polizei hier nicht rigoros eingreift. Platzverweise reichen zur Abschreckung nicht aus.
Unser nächster Besuch galt dem Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park. Auf diesem Soldatenfriedhof sind 70.000 Soldaten der ehemaligen Sowjetunion bestattet, die im Kampf um Berlin gestorben sind. Die Gedenkstätte wurde 1949 eingeweiht. Der Zugang zu der Anlage wurde gerade neu gestaltet. So spazierten wir zunächst durch die Parkanlage mit ihren alten Bäumen und den großzügigen Freiflächen. Durch einen Triumphbogen gingen wir auf eine drei Meter hohe Frauenfigur zu. Sie symbolisiert die „Mutter Heimat“, die die toten Soldaten nie wieder sehen werden. Der Wind rauschte leicht in dem nahen Espenhain. Das Hauptfeld der Anlage erreichten wir auf einem breiten, leicht ansteigenden Weg, der rechts und links von zwei riesigen roten Fahnen aus Granit flankiert wird. Vor ihnen knieen zwei Soldaten in voller Montur. Dann öffnete sich uns der Blick auf das symbolische Gräberfeld, das rechts und links von großen weißen Sarkophagen flankiert wird. Auf der anderen Seite erhebt sich ein Hügel, auf dem ein Pavillon steht. Er wird überragt von einer 12 m hohen Statue, die einen sowjetischen Soldaten zeigt, der ein Kind im Arm hält. Langsam stiegen wir hinab und gingen an den Sarkophagen vorbei. Bildhauerisch wird der heroische Kampf der Sowjetunion gegen das Hitlerregime dargestellt. Auf den Kopfseiten prangen in Gold Zitate von Väterchen Stalin. Auffällig war, wie viele russisch sprechende Touristen auf dem Gelände waren. Auch Schulklassen besuchten diesen Ort offensichtlich. Mit mehr oder weniger Ernst waren die Jugendlichen bei der Sache.
Von dem Hügel herab hatten wir einen prächtigen Blick über die Anlage. Einziges Berliner Wahrzeichen, das man in dieser Parklandschaft von hier oben sehen konnte, war die silberne Kugel des Funkturms am Alex. Unterdessen hatte sich der Himmel bewölkt und erste Regentropfen platschten auf uns nieder. So beeilten wir uns auf dem Weg zur Anlegestelle des Fahrgastschiffes, das uns vom Treptower Hafen nach Köpenick bringen sollte.
Nach etwa einer Stunde nahm das Schiff den Weg von der Spree in die Dahme und legte an der Anlegestelle in Köpenick an. Wir stiegen aus und gingen zunächst zum Köpenicker Rathaus. Vor dem prachtvollen neogotischen Backsteingebäude steht am Eingang das Denkmal des Hauptmanns von Köpenick, der nicht nur literarischen Ruhm fand, sondern nach seinem spektakulären Raub eine recht berühmte Person war, die zuletzt aber bitterarm starb. Im Rathaus besichtigen wir eine kleine Aus-stellung zu diesem Schuster Voigt. Gezeigt wurde auch die geplünderte Stadtkasse.
Letztes gemeinsames Reiseerlebnis war das Abendessen im Café Luise in Köpenick, das wegen einer Doppelbuchung unserer Reisegruppe beinahe gar nicht zustande gekommen wäre. Der Volksmund hat schon recht: Viele Köche verderben den Brei. Davon abgesehen: Die aufgetragenen Speisen waren sehr lecker und das Bier dazu sehr bekömmlich. Am Abend brachte uns Matthias wieder sicher und bequem nach Spandau zurück.
Einige Reiseteilnehmer des Partnerschaftsvereins hatten am späteren Abend noch ein besonderes Partnerschaftserlebnis. Sie besuchten nahe des Hotels die „Ruhleben-Klause“, eine typische, immer seltener werdende Berliner Kneipe mit Gästen aus dem Kiez. Einer, mit typischer Berliner Schnauze mit Herz, mit „wa“ und „icke“, Karsten, kam an unseren Tisch und erzählte, er sei Jahrgang 1964 und vor vielen Jahren als Berliner Ferienkind in Burbach auf Urlaub gewesen. Er könne sich an diese schönen Tage noch gut erinnern. Er bedankte sich noch einmal herzlich für den damaligen Ferienaufenthalt (!) und kehrte dann an die Theke zurück.
Der nächste Tag stand zunächst unter dem Motto „Erlebnis“. Nach dem Frühstück brachen wir auf, um unser erstes heutiges Reiseziel im Norden Berlins zu erreichen: das Schiffshebewerk in Niederfinow. Es ist das älteste in Deutschland noch arbeitende Schiffshebewerk und mit 36 Metern Hubhöhe das zweithöchste. Pünktlich erreichten wir den Parkplatz neben dem mächtigen stählernen Bauwerk. Das Hebewerk liegt an oder wohl eher in der Havel-Oder-Wasserstrasse. Der Kanal verbindet die Oder an der polnischen Grenze mit den Berliner Wasserstraßen. 1934 in Betrieb genommen ersetzte es eine Schleusentreppe und ermöglichte so eine viel schnellere Weiterfahrt der Binnenschiffe. Heute ist das Hebewerk zu klein geworden. Seit 2008 baut man daneben eine größere Anlage, die auch Schiffe neuen Typs heben und senken kann. Sie sollte 2016 in Betrieb gehen, ist bisher aber aus dem Probebetrieb noch nicht herausgekommen. Vielleicht klappt es ja 2021; Elbphilharmonie und Hauptstadtflughafen Willy Brandt lassen grüßen.
Die „Baron von Münchhausen II“ ist ein kleines Fahrgastschiff, das täglich drei Mal vom Unterhafen hinaufgeschleust und von Oberhafen wieder hinabgeschleust wird. Kurz nach 11.00 Uhr legte das Schiff ab. Es war voll besetzt. Ausführlich beschrieb der Kapitän den Hubvorgang und die technischen Details des Hebewerks. Aus seinen Ausführungen klang der Stolz auf die 85 Jahre alte Anlage. An dem neuen Hebewerk ließ er kein gutes Haar. Nach wenigen Minuten hatten wir die Hubhöhe von 36 Metern erreicht und fuhren in Richtung Oberhafen. Dort wurde gewendet und es ging zurück. Für viele Mitreisende war das der Höhepunkt unserer Reise, wie sie später sagten.
Nach einer kurzen Mittagspause ging die Reise weiter zum Kloster Chorin, einer ehemaligen gotischen Zisterzienserabtei. Gegründet wurde sie an Ort und Stelle im Jahre 1273. Durch die bereits 1542 erfolgte Säkularisation verfielen die Klostergebäude in den nächsten Jahrhunderten. Der bedeutende preußische Architekt Karl Friedrich Schinkel erkannte den Denkmalwert der Klosteranlage und sorgte für die Sicherung und die teilweise Rekonstruktion der Ruinen. Heute ist das Klostergelände ein beliebtes Ausflugsziel im Biosphärenreservat Chorin-Schorfheide. Die wieder hergestellten Gebäudeteile dienen unter anderem als Veranstaltungsräume für musikalische Aufführungen. Eine Ausstellung ist dem mönchischen Leben im Mittelalter gewidmet.
Vor dem zentralen Gebäude empfing uns eine Mitarbeiterin der Stiftung, die uns eine gute Stunde lang durch die Klosteranlage führte und sehr kompetent und kenntnisreich über das Klosterleben, die einzelnen Räumlichkeiten und die architektonischen Besonderheiten der Abtei berichtete. Vor der Rückfahrt blieb noch Zeit für einen Besuch im Museumsladen und eine Tasse Kaffee im Klostercafé.
Unter dem Motto „Partnerschaft“ traf sich unsere Reisegruppe am Abend noch einmal im Brauhaus Spandau zum Partnerschaftsabend. Dieser gestaltete sich etwas chaotisch, denn wir hatten mit den Spandauer Freunden keinen eigenen Gesellschaftsraum zur Verfügung, sondern saßen auf der umlaufenden Empore des Gasthauses. So gingen die wohlgesetzten Reden im Wirtshauslärm etwas unter. Für die Zukunft wird man andere Räumlichkeiten auswählen müssen, damit eine gesellige gemeinsame Runde Spandauer, Wittgensteiner und Siegerländer Freunde zur Partnerschaftspflege zusammenkommen können.
Am fünften Tag unserer Reise traten wir am Morgen die Rückfahrt nach Siegen an. Nach elfstündiger Fahrt trafen wir mit vielen neuen Eindrücken und manch schöner Erinnerung wieder in Weidenau ein. Unfallbedingte Staus in der Nähe von Leipzig und vor Eisenach hatten uns viel Zeit gekostet. Dennoch blicken wir gern auf diese Reise zurück.